Verwaiste Werke – frei zur Lizenzierung für kommerzielle Zwecke?

In Deutschland gibt es offenbar zwischen Börsenverein, Deutscher Nationalbibliothek, Deutschem Bibliotheksverband, DFG und VG Wort eine Vereinbarung über die Nutzung verwaister Werke.  Der Wortlaut dieser Vereinbarung ist leider bislang nicht öffentlich bekannt (ich arbeite jedoch daran, ihn zu bekommen).  Der Stellungnahme des Börsenvereins zum Fragekatalog des BMJ, der den Dritten Korb der Urheberrechtsreform vorbereiten soll, ist jedoch zu entnehmen, dass die VG Wort den Bibliotheken Lizenzen zur Digitalisierung verwaister Werke erteilen soll, so dass diese von eventuellen Schadensersatzforderungen der Rechteinhaber freigestellt werden können – natürlich nur, wenn diese eine sorgfältige (erfolglose) Recherche nach den Urhebern nachweisen können (vgl.  http://www.boersenverein.de/sixcms/media.php/976/Stellungnahme_Dritter_Korb_Juni09.pdf - hier S. 16).

Dies ist durchaus eine begrüßenswerte Initiative – jedenfalls scheint es auf den ersten Blick so zu sein. Klammere ich hier zunächst einmal aus, ob eine vertragliche Lösung eine gesetzlich im Urheberrecht zu  fixierende Schrankenlösung überflüssig macht (dazu: http://www.urheberrechtsbuendnis.de/docs/verwaisteWerke.pdf und aktuell der Artikel von Land: http://bat8.inria.fr/~lang/ecrits/liste/orphan-gbs.pdf).

Es fragt sich allerdings, was der Börsenverein bei einer solchen Regelung, die die Bibliotheken in die Lage versetzt, verwaiste Werk der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, zu suchen hat. Das wird aber in der Börsenvereinsantwort am Ende  sofort deutlich: “Zu prüfen wird sein, ob diese Lösung außer für Bibliotheken nicht auch für Verlage oder andere dritte Nutzer eröffnet werden sollte, die nach einer gewissenhaften Recherche verwaiste Werke verlegen wollen.”

Der Weg zur Kommerzialisierung verwaister Werke soll damit eröffnet bzw. erleichtert werden. Auch dagegen ist im Prinzip nichts zu sagen; denn jeder Weg zur Verfügbarkeit verwaister Werke ist durchaus zu begrüßen, allerdings nur dann, wenn durch die kommerzielle Verwertung keine neuen exklusiven Rechte an diesen Werken entstehen.  Das war/ist auch die Forderung der DFG bzw. findet sich in der Resolution der Deutschen UNESCO-Kommission zu den verwaisten Werken wider (   bzw. http://www.unesco.de/resolution_verwaiste_werke.html?&L=0

Nach der Regelung  im Zweiten Korb (§ 52b UrgG) ist jedoch zu befürchten, dass Verlage den Bibliotheken eine öffentliche Zugänglichmachung untersagen können, wenn sie selber dies schon auf ihren kommerziellen Wegen tun, zumal dann, wenn dabei Verfahren des Digital Rights Management zum Einsatz kommen (was so gut wie unweigerlich geschieht).

Der erweiterten Lösung zugunsten der kommerziellen Verwertung wäre also nur dann zuzustimmen, wenn (und dann wohl über eine Schrankenregelung) gesichert wäre, dass die kommerzielle (und damit verknappende) Verwertung nur dann erlaubt ist, wenn die entsprechenden Werke schon über die Digitalisierung der Bibliotheken oder anderer Einrichtungen frei zugänglich gemacht worden sind bzw. wenn die kommerzielle Verwertung die öffentliche Digitalisierung nicht ausschließt. Ich würde die erste Bedingung präferieren.

Der Börsenverein sieht auf Grund der Vereinbarung keine Notwendigkeit für eine Schrankenregelung für den Umgang mit verwaisten Werken, höchstens eine solche, auf Grund derer straftrechtliche Konsequenzen bei der öffentlichen Zugänglichmachung verwaister Werke nicht zu befürchten wären, wenn a) eine sorgfältige Recherche nachgewiesen wird; b) eine Meldung an eine Verwertungsgesellschaft erfolgt ist und c) eine angemessene Gebühr an die Verwertungsgesellschaft gezahlt worden ist, um später eventuell auftauchende Ansprüche befriedigen zu können.

(b) ist problematisch genug, denn wie Lang (s. oben) gezeigt, kann die Sicherung von Urheberrechtsansprüchen keineswegs an formale Leistungen wie Melderegister gebunden werden. Aber vor allem (c)  ist dann abzulehnen, wenn auch die Bibliotheken zu dieser Vorleistung gezwungen würden. (c) scheint eher ein Finanzierungsmodell für Verwertungsgesellschaften zu sein, denn bei der Mehrzahl der verwaisten Werke wird vermutlich nie ein Anspruch reklamiert werden. Die Ausweitung der Aufgaben der Verwertungsgesellschaften, schon problematisch genug bei dem Umgang mit den durch das Google/GBS-Settlement zu erwartenden Konsequenzen, wird sicherlich noch einmal von den dafür zuständigen Instanzen zu überprüfen sein.