Sorge um die Piratenpartei? – Urheberrecht ist nur eine Stellvertreterdebatte – Durch Hermeneutik alleine ist noch nie die Welt verändert worden

Wie aufmerksam! – die Süddeutsche Zeitung machte sich jüngst Sorgen um die Piratenpartei und fragt, ob diese ihren Gründungsauftrag vergessen habe. Sie sei doch „als digitale Bürgerrechtsbewegung gegründet [worden], die für ein neues Urheberrecht kämpfen wollte“. Es sei Zeit, sie daran zu erinnern.

An wen richtet sich diese Frage? In dem bisherigen Politik- und Parteienverständnis würde wohl erwartet, dass ein Parteiexperte die Stimme erhebt und verkündet, was denn Sache in Sachen Urheberrecht ist – so wie es etwa die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger getan hatte, als sie in ihrer Berliner Grundsatzrede vom 16.6.2010 den Startschuss zum sogenannten Dritten Korb der Urheberrechtsreform gab (Video) (nebenbei mit dem Erfolg, dass bis heute kein Referentenentwurf zu diesem Dritten Korb vorliegt).

Transparenz, Diskussionen und Kollaboration

Prozesse in Parteien, solange sie noch nicht fest im System etabliert sind, laufen anders ab: Transparenz, Diskussionen und Kollaboration sind angesagt, natürlich auch, wie zuweilen in den Mailinglisten, Chaos. Auch die SZ wird LiquidFeedback kennen, die Plattform, auf der gerade jetzt, ca. einen Monat vor dem Bundesparteitag der Piratenpartei in Offenbach, intensiv Positionspapiere und Bestandteile des zukünftigen Wahlprogramms eingespeist und noch intensiver diskutiert werden. Und da geht es natürlich auch ums Urheberrecht, und gleich auf mehrfache Weise.

Zentrale Aussagen aus dem noch geltenden Grundsatzprogramm

Es liegt dafür ein Antrag vor (Programmänderung 156), den Text aus dem bisherigen Grundsatzprogramm mit dem Titel „Urheberrecht und nicht-kommerzielle Vervielfältigung“ redaktionell zu überarbeiten, z.B. „Gefahren“ durch „Risiken“ zu ersetzen.

Erhalten geblieben sind die zentralen Aussagen, dass das jetzige Urheberrecht die Potenziale elektronischer Umgebungen für alle Lebensbereiche eher beschränkt als befördert und dass es auf einem veralteten Verständnis von geistigem Eigentum beruhe. Technische Schutzmaßnahmen werden für Informationsobjekte weiter mit vielfältigen Begründungen abgelehnt. Entsprechend sollte freies, nichtkommerzielles Kopieren nicht verfolgt, sondern gefördert werden. Persönlichkeitsrechte der Urheber werden in vollem Umfang anerkannt. Allerdings sei eine drastische Verkürzung der Dauer von Rechtsansprüchen auf urheberrechtliche Werke erforderlich, damit immer mehr Werke rascher als bislang in den öffentlichen Raum eingebracht werden können (wobei das Programm irrtümlich von „Rückführung“ spricht, als ob die „privaten“ Werke schon einmal im öffentlichen Raum waren).

Urheberrecht – Stellvertreterdebatte mit gewichtigen Konsequenzen

Die SZ hat aber wohl recht, dass es bei diesem Grundsatztext nicht länger bleiben kann. Die Regulierung des Umgangs mit Wissen und Information kann sich nicht auf Themen wie „nicht-kommerzielle Vervielfältigung“ beschränken. Mit dem Urheberrecht werden ja stellvertretend am Beispiel Wissen und Information Fragen aufgeworfen, deren Beantwortung sehr unterschiedliche Konsequenzen haben könnte: Zum einen, ob sich Menschen und in der Gesamtheit Gesellschaften durch eine weitgehend freie Nutzung materieller und immaterieller Güter auf nachhaltige Weise entwickeln können. Oder zum andern, ob sie behindert und in ihren Möglichkeiten dadurch beschränkt werden, dass sich einige das als private Güter mit Eigentums- und Schutzanspruch aneignen, was im Grunde in der Verfügung aller sein sollte. Ob Drittes weiter möglich ist, nämlich dass es zum Nutzen der Mehrheit ist, wenn einige Wenige den primären Vorteil haben, wird immer weniger als richtig angenommen. Das gilt für die Banker gleichermaßen wie für die Verleger von Wissen.

Im größeren Rahmen sind damit nicht zuletzt auch gemeint Luft, Wasser, die natürlichen Ressourcen, das Meer, die Wälder, aber auch das Finanz- und Gesundheitssystem, der öffentliche Raum und eben auch Bildung, Wissenschaft, Kunst, Kultur, … Die für das Urheberrecht grundlegende Debatte, in welchem Umfang für immaterielle Objekte geistiges Eigentum und damit Schutzansprüche der diese Objekte produzierenden Urheber bzw. diese Objekte verwertenden Akteure des Marktes reklamiert werden dürfen, ist sicher zunächst Gegenstand eines speziellen Politik- und Rechtsbereichs, aber sie ist auch eine Stellvertreterdebatte dafür, wie in allen Politik-, Rechts- und Lebensbereichen die Verfügung über das, wovon alle Menschen abhängen, organisiert werden soll.

Daher wurde z.B. in der Berliner Öffentlichkeit gefordert, die Verträge der Politik mit der Wasserwirtschaft nicht nur offenzulegen, sondern auch neu zu verhandeln. Daher müssen Fangquoten für die Fische in den Meeren formuliert und durchgesetzt werden. Daher wird kein Finanzsystem mehr toleriert, das nicht mehr dem Gemeinwohl verpflichtet ist, sondern sich auf den Vorteil der 1% konzentriert, ….. Und deshalb – und hier wird die Strukturähnlichkeit hoffentlich deutlich – wird immer mehr die Forderung aufgeworfen, dass das mit öffentlichen Mitteln produzierte Wissen für jeden frei zugänglich und nutzbar sein soll und nicht durch Urheberrechtsbegünstigungen privat mit den entsprechenden Verknappungsfolgen angeeignet wird.

Gutes Leben – ja, aber nicht nur für Pfeffersäcke

Das ist wohl das Image von Piraten, dass sie keine Einwände gegen ein gutes Leben, aber alle Einwände dagegen haben, dass dieses gute Leben nur einigen wenigen, den „Pfeffersäcken“, zustehen solle. Wird das so gesehen (und man möge berücksichtigen, dass dies hier ein informationsethischer Blog ist) , dann ist die programmatische Basis einer Piratenpartei eben nicht nur die von Rick Falkvinge, Begründer der Piratenpartei in Schweden, immer wieder beschworene Trias – freie Software, File-Sharing und Anti-Big-Brother-Politik -, sondern die diesen Themen zugrundeliegenden Prinzipien wie Kollaboration, Teilen, Transparenz, Partizipation, Gerechtigkeit und offene Freizügigkeit, die dann auch auf alle, ja vermutlich alle anderen Politik- und Lebensbereiche übertragen werden können.

Zurück zum Urheberrecht: Der Antrag zur (redaktionellen) Änderung des entsprechenden Abschnitts im Grundsatzprogramm der Piratenpartei ist nicht die einzige Initiative. Es liegend derzeit zumindest zwei sehr verschiedene Anträge vor, die zur Positionierung oder zum offiziellen Programm beitragen sollen. Es wird also durchaus versucht mitzumischen, denn, da hat die SZ recht, die Öffentlichkeit erwartet das.

Urheberrecht kaum mehr die Domäne spezialisierter JuristInnen

Das Urheberrecht wird allerdings immer noch als eine Domäne sehr spezialisierter JuristInnen angesehen, bei dem es nur sehr ungern gesehen wird, wenn sich etwa SoziologInnen, ÖkonomInnen, InformationswissenschaftlerInnen oder gar das allgemeine Publikum einmischen, die, so die Expertenannahme, ja keine Ahnung von der komplizierten Dogmatik, der internationalen Verflechtung geschweige denn von der Fachliteratur oder den richtungsweisenden Urteilen bis zum Verfassungsgericht haben können. Aber die „Laien“ müssen sich einmischen, demonstriert doch das Urheberrecht der Rechtsprofessionellen, vor allem auch der überwiegenden Mehrheit des Rechtsspezialisten im gesetzgebenden Bundestag, wie total dieses Recht neben der Realität des Umgangs mit elektronischen Objekten (ich spreche von Wissen und Information) steht. Kein Wunder – der Bundestag wird weiter von netz- ignoranten Politikern dominiert. Das muss sich ändern.

Für eine detailliertere Auseinandersetzung mit den beiden bislang vorliegenden Urheberrechtspapieren aus der Piratenpartei ist hier und jetzt kein Platz. Nur kurz- Beide Vorschläge dürften es schwer haben, eine Mehrheit der breiten Basis zu finden. Der eine ist (nicht immer, aber in weiten Teilen) zu allgemein; der andere viel zu speziell und im Urheberrechtssystem selber verhaftet bleibend, das aber doch gerade durch einen programmatischen Neuansatz überwunden werden soll.

Jeden Paragraphen des Urheberrechts kritisch und konstruktiv durchgehen?

Das letztere Papier wurde von Daniel Neumann nach enormen Einsatz eingebracht, wobei er sich umfangreicher Unterstützung viele PiratInnen aus dem Baden-Württemberger Umfeld versichern konnte. Er macht tatsächlich den Versuch, so gut wie jeden einzelnen Paragraphen des geltenden Urheberrechtsgesetzes kritisch durchzugehen und dafür, jeweils ihm piratenkonform erscheinende Vorschläge vorzulegen.

Das muss nicht nur diejenigen überfordern, die darüber auf einem Parteitag zu befinden haben und diejenigen, die das dann später als Position der Piraten lesen und verstehen sollen, sondern m.E. auch die AutorInnen des Papiers selber. Da ist dann vieles angreifbar und ist überwiegend auch nicht auf dem aktuellen Stand der öffentlichen geschweige denn der fachjuristischen Diskussion (der Literatur und der Gerichtsentscheidungen). Das ist auch kaum zu vermeiden. Kein direkt einschlägiger Jurist würde sich gar getrauen, einen Parforceritt durch das gesamte Urheberrecht zu unternehmen, es sei denn lediglich interpretierend wie in den vielen Kommentaren, aber kaum in konstruktiver Veränderungsabsicht. Vielleicht ist es ja gut, dass es dennoch ein Nicht-Jurist versucht. Aber muss man sich dafür an den doch gewiss fatalen Vorgaben des geltenden Urheberrechts orientieren, ohne dessen Prinzipien grundsätzlich in Frage zu stellen? Pragmatismus ist, zumindest jetzt in der Anfangsphase, das Letzte, was von Piraten erwartet wird.

Kein Durchbruch, solange die heiligen Kühe des Urheberrechts nicht geschlachtet werden

Ich habe das mühsam in den letzten 7 Jahren immer wieder erfahren: es macht keinen Sinn, immer wieder sich an den einzelnen Formulierungen des Urheberrechtsgesetzes abzuarbeiten, solange die Grundsätze des Urheberrechts wie heilige Kühe gelten und von den ressourcenkräftigeren Lobbyisten aus der Verlagswirtschaft, nicht zuletzt vor Gericht, geltend gemacht werden, z.B.

  • die Rigidität des die kommerzielle Verwertung in den Vordergrund stellenden Dreistufentests
  • die Absolutheit des Anspruchs auf Rechtsschutz für geistiges Eigentum (sowohl der Urheber als auch, absurd, der Verwerter)
  • der Anspruch, die doch ganz heterogenen Objektbereiche (z.B. Bildung und Wissenschaft einerseits und Konsum-/Publikumsmärkte andererseits) durch das Recht einheitlich zu behandeln bzw. über einen Kamm zu scheren
  • das Beharren auf in der Dauer kaum nachvollziehbare, ebenso unangebracht einheitliche Schutzfristen (70 Jahre nach dem Tod des Urhebers!!)
  • die seit langem vollzogene Aufgabe des dem Urheberrecht an sich zugrundeliegenden Balanceprinzips zugunsten des Primats der kommerziellen Verwertung und zu Lasten der UrheberInnen selber und ganz besonders der NutzerInnen
  • die fortwährende Unterstützung der aus der analogen Welt stammenden Geschäftsmodelle der Informationswirtschaft, die zum Teil durch eigene Leistungsschutzrechte weiter verfestigt werden sollen
  • das Negieren der Entwicklung eröffnenden Potenziale der Netzwelt

Durch Hermeneutik alleine ist noch nie die Welt verändert worden

Ich halte daher einen anderen, radikalen, also an die Wurzeln gehenden konzeptionellen Ansatz insgesamt für erforderlich und für eine politische Partei für zielführender, nicht zuletzt auch deshalb, weil dieser ihr in aktuellen Entscheidungssituationen die Richtung vorgibt, aber auch Spielraum für reales politisches Handeln lässt. Natürlich wird sich ja eine Partei, die ja auch reale Politik machen will, sich nicht alleine auf das Schlachten heiliger Kühe beschränken können, sondern Handlungsoptionen mit Perspektiven vorlegen müssen, die aber anders begründet werden müssen, als über die kritische und zuweilen konstruktive Auslegung bestehender Gesetze. Durch Hermeneutik alleine ist noch nie die Welt verändert worden.

„Für ein modernes Urheberrecht“ -  im Geiste des “Copyright Code”

Der andere Antrag, von Personen, die sich unter den Namen AndiPopp, Alex, Fridtjof einbringen, erhebt in der Tat mit dem Titel „Für ein modernes Urheberrecht“ einen umfassenden konzeptionellen Anspruch. Die VerfasserInnen haben sich stark an dem European Copyright-Code des Wittem-Projekts orientiert (vgl. hier im NETETHICS-Blog), der ja von führenden europäischen Juristen im Frühjahr 2010 vorgelegt wurde. Die Piraten haben ihn aber durchaus an einigen Stellen weiterentwickelt, da sie sich nicht, wie die professionellen Juristen, dem aqcuis communautaire der sieben EU-Richtlinien seit 1991 und damit dem derzeit geltenden Urheberrechtsparadigma so stark verpflichtet gefühlt haben.

Gemeinfreiheit der Standard – kommerzielle Verwertung die anzuzeigende Ausnahme

In diesem „modernen Urheberrecht“ ist der Ansatz, dass Gemeinfreiheit der Standardfall für zu veröffentlichende Werke sein soll, wegweisend und in der Konsequenz zumindest originell (und wider die bislang geltende Urheberrechtssystematik), nämlich dass jeder, der für sich (kommerzielle) Verwertungsrechte reklamiert, dies explizit ankündigen muss. Und das soll dann Folgen für die Dauer der Schutzrechte haben. Z.B. soll der Normalfall des Schutzes von 25 Jahren dann um 5 Jahre verkürzt werden, wenn die kommerzielle Verwertung gewählt wird, oder um 10 Jahre, wenn sich AutorInnen nicht verpflichten, die dem jeweiligen Werk zugrundliegenden Rohdaten zu veröffentlichen. Wie letzteres geschehen soll, bleibt allerdings unklar. Auch wird Position bezogen, das „Werke, die im öffentlichen Auftrag erstellt oder durch öffentliche Gelder finanziert sind, von wirtschaftlichen Rechten ausgeschlossen bleiben“. Einige der oben erwähnten heiligen Kühe würden geschlachtet. Und das wäre gut so.

Trotzdem – der erwartete große Wurf einer gleichermaßen programmatisch überzeugenden Konzeption und konkreten Handlungsoptionen, die auch in den internationalen Kontext gesehen werden müssen, steht weiter aus.

Soll es weiter „Urheberrecht“ heißen?

Die Herausforderung, die ja letztlich für alle Parteien und zivilgesellschaftliche Gruppen besteht, scheint mir darin zu liegen, dass das Urheberrecht aus seiner engen Domänenperspektive befreit und in eben der Stellvertreterrolle für einen breiteren Horizont gesehen wird: Wie wollen wir mit materiellen und immateriellen Objekten umgehen, von denen alle Menschen abhängen und die deshalb nicht in die exklusive private Verfügung Weniger gestellt werden dürfen?  Ist dieser Horizont einmal gewonnen, sollte es auch sehr konkrete Vorschläge für ein spezielles Recht, eben das Urheberrecht geben, dass dann allerdings eher das „Recht an Wissen und Information“ heißen sollte. Aber dafür wird es noch bessere Vorschläge geben.

All das wird noch einige Zeit brauchen, aber spätestens zur Bundestagswahl werden die Piraten um ein umfassendes Programm nicht umhin kommen. Dafür sind die jetzigen Anträge für die Partei verdienstvolle Bausteine, aber noch nicht das Gebäude selber.

Urheberrecht ist Bundesrecht. Man muss also nicht erwarten, dass das Urheberrecht in allen Bundesländern laufend zum zentralen Thema wird. Um die Wissensbasis kompetent zu  erweitern, sollte der Dialog mit den hier einschlägigen Akteuren, natürlich nicht nur den JuristInnenen, gesucht werden und vielleicht über Workshops, Fachkonferenzen und elektronische Foren transparent gemacht und Konsense dann gefunden werden.

Comments (1)

 

  1. Andi Popp sagt:

    Da kam unser Vorschlag ja noch am besten weg :D Das mit dem heilige Kühe schlachten triffst eigentlich recht gut, das muss ich auch mal in meine Rethorik aufnehmen :)